Bayerische Landesbibliothek Online
Das Portal zu Geschichte und Kultur des Freistaats

Die Bayerische Landesbibliothek Online wird seit einiger Zeit nicht mehr aktualisiert und schrittweise nach bavarikon umgezogen. Die Suche steht leider nicht mehr zur Verfügung. Auf den einzelnen Projektseiten der BLO finden Sie die direkten Verlinkungen zur neuen Präsenz der Angebote in bavarikon.

Schätze der Staatsbibliothek Bamberg: Lorscher Arzneibuch und weitere medizinische Handschriften

bamberg_msc.med Lorscher Arzneibuch - SB Bamberg, Msc.Med.1, fol. 70v [Ausschnitt]

 

In dieser virtuellen Sammlung wird das berühmte Lorscher Arzneibuch (Msc.Med.1) zusammen mit einer Auswahl weiterer medizinischer Handschriften der Staatsbibliothek Bamberg - darunter die Bamberger Chirurgie (Msc.Med.7), der Bamberger Blutsegen (in Msc.Med.6) und das Arzneibuch Ortolfs von Baierland (Msc.Med.22) - präsentiert.

Das Lorscher Arzneibuch ist das älteste medizinische Buch des abendländischen Mittelalters. Es entstand Ende des 8. Jahrhunderts in der südhessischen Benediktinerabtei Lorsch. Vor 1000 Jahren gelangte es durch Kaiser Heinrich II. (973-1024) nach Bamberg und ist heute Teil der Handschriftensammlung der Staatsbibliothek Bamberg. 2013 wurde das Lorscher Arzneibuch in das Register des UNESCO-Dokumentenerbes aufgenommen.

Die Handschrift stellt einen Meilenstein in der Medizingeschichte dar, ein einzigartiges Zeugnis für die Neubewertung der antiken Medizin im Zuge der karolingischen Renaissance unter Karl dem Großen (747-814). Es verbindet erstmals die Erkenntnisse der antik-heidnischen Medizin mit christlichen Glaubensinhalten. Seither galt die Behandlung Kranker nicht mehr als unstatthafter Eingriff des Menschen in den Heilsplan Gottes, sondern als Akt christlich gebotener Nächstenliebe.

Das Lorscher Arzneibuch ist als Nachschlagewerk und einführendes Lehrbuch angelegt. Es versammelt auf 150 Seiten verschiedenartige medizintheoretische und medizinpraktische Schriften in lateinischer Sprache. Der Hauptteil besteht aus 482 Arzneimittelrezepten. Nachträge und althochdeutsche Randbemerkungen zeugen von intensiver Benutzung im 9. und 10. Jahrhundert.

Der Text des Arzneibuches ist außerordentlich sorgfältig in karolingischer Minuskel geschrieben. Althochdeutsche Randbemerkungen des 9. und 10. Jahrhunderts zeugen von einer intensiven Benutzung; sie genießen außerordentliches Interesse für die germanistische Sprachwissenschaft.

Hervorragende Bedeutung kommt dem Vorwort zu: Es bietet das umfangreichste argumentative Textzeugnis zur karolingischen Antikenrezeption und stellt dieses Werk programmatisch in einen für die europäische Geistes- und Kulturgeschichte höchst bedeutsamen Zusammenhang. Es lässt sowohl die Prämissen und Hürden der gedanklichen Ausgangslage erkennen als auch die Möglichkeiten einer theologischen und somit systemimmanenten Erörterung.

Die Lösung solcher Streitfragen besteht nicht etwa in der Ablehnung christlich-fundamentalistischer Glaubensinhalte und in einer bedingungslosen Annahme des aus antik-heidnischer Tradition Überlieferten, sondern in einer Verbindung beider Gedankensysteme innerhalb christlicher Grundüberzeugungen. Das für die karolingische Antikenrezeption zentrale Prinzip der Nützlichkeit verbindet sich mit dem spezifisch christlichen Anliegen der aktiven Nächstenliebe zu einem starken Fundament der Mönchsmedizin bzw. Mönchspharmazie, welche lange Zeit die einzige, auf Schriftlichkeit gründende Form der gelehrten Medizin im Abendland darstellte.

Speziell für die Medizin wurden so die Weichen gestellt, die bis heute fortwirken: die Verbindung von säkularer Wissenschaft und einer Ethik des Helfens. Auch für diese aus dem Mönchtum stammende Innovation steht die Bamberger Handschrift.

Das Buch gewinnt an zusätzlicher Bedeutung, da es auf Blatt 42v das einzige bekannte (Teil-)Verzeichnis einer kaiserlichen Bibliothek des Frühmittelalters enthält, niedergeschrieben durch Leo von Vercelli (gest. 1026), den Lehrer und Vertrauten Kaiser Ottos III (980-1002). Diese Bücherliste erlaubt es auch, die Geschichte des Lorscher Arzneibuches weitgehend zu rekonstruieren: Nach dem frühen Tod Kaiser Ottos III. im Jahre 1002 kam die Handschrift in den Besitz seines Nachfolgers Kaiser Heinrich II., der sie der Dombibliothek des von ihm im Jahr 1007 gegründeten Bistums Bamberg schenkte. Von dort gelangte sie im Zuge der Säkularisation 1802/03 in die Kurfürstliche Bibliothek Bamberg, die heutige Staatsbibliothek Bamberg.

 

Übersetzung ins Deutsche und Transkription:

  • Ulrich Stoll: Das Lorscher Arzneibuch. Ein medizinisches Kompendium des 8. Jahrhunderts. Text, Übersetzung und Fachglossar. Stuttgart (Codex Bambergensis medicinalis 1), 1992 (Dieses Werk im Bibliotheksverbund Bayern BVB)

 

Faksimile:

  • Gundolf Keil: Das Lorscher Arzneibuch. Faksimile der Handschrift Msc.Med.1 der Staatsbibliothek Bamberg. Stuttgart, 1989 (Dieses Werk im Bibliotheksverbund Bayern BVB)

 

Literaturhinweise:

  • Karl Sudhoff: Eine Verteidigung der Heilkunde aus den Zeiten der Mönchsmedizin, in: Archiv für Geschichte der Medizin 7 (1913), S. 223-237 (Dieses Werk im Bibliotheksverbund Bayern BVB).
  • Bernhard Bischoff: Die Abtei Lorsch im Spiegel ihrer Handschriften. Lorsch 19892, S. 32-33, 67 und 102 (Dieses Werk im Bibliotheksverbund Bayern BVB).
  • Gundolf Keil / Paul Schnitzer (Hrsg.): Das Lorscher Arzneibuch und die frühmittelalterliche Medizin. Verhandlungen des Medizinhistorischen Symposiums im September 1989 in Lorsch. Lorsch, 1991 (Dieses Werk im Bibliotheksverbund Bayern BVB).
  • Alf Önnerfors: Sprachliche Bemerkungen zum sogenannten Lorscher Arzneibuch, in: Maria Iliescu / Werner Marxgut (Hrsg.): Latin vulgaire - latin tardif. III. Actes du IIIème Colloque international sur le Latin vulgaire et tardif. Tübingen, 1992, S. 255–281 (Dieses Werk im Bibliotheksverbund Bayern BVB).
  • Klaus-Dietrich Fischer: Das Lorscher Arzneibuch im Widerstreit der Meinungen, in: Medizinhistorisches Journal 45 (2010), S. 165–188 (online).

 

 

Staatsbibliothek Bamberg