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Der "bellifortis" des Konrad Kyeser



Datierung und Überlieferung

„bellifortis“, lat. „der Kampfstarke“, ist das älteste von einer namentlich bekannten Person verfasste Kriegshandbuch im deutschsprachigen Bereich. Es entstand um 1402 in Böhmen; ist reichhaltig illustriert und in lateinischer Sprache abgefasst. Die beiden ältesten Stücke stammen von 1402 und 1405 (heute in der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen).

Knapp 50 „bellifortis“-Handschriften sind überliefert, darunter befinden sich auch deutschsprachige, hebräisch-jiddische und völlig textlose Fassungen sowie Streuüberlieferungen. Mit Ausnahme einiger Abbildungen in einem Frühdruck von 1515 gelangte das Werk nie in den Druck.

Das hier präsentierte Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek ist die einzige vollständige lateinische Fassung, die in Bayern überliefert ist. Die Staatsbibliothek konnte das Werk 1998 mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder, der Bayerischen Landesstiftung, des Bundesinnenministeriums und der Ernst-von-Siemens-Kunststiftung erwerben. Entstanden ist es vermutlich um 1430 in Böhmen oder im schwäbischen Raum. Seit dem 19. Jahrhundert ist die Handschrift im Besitz der Grafen von Törring-Gutenzell nachweisbar. 1911 erschien sie im antiquarischen Handel und wurde von der Industrieellenfamilie Krupp von Bohlen und Halbach erworben. Nachdem die Familie den „bellifortis“ nach 1950 erneut verkauft hatte, befand er sich zuletzt im Antiquariat Heribert Tenschert.

Für eine weitere in Bayern verwahrte Handschrift sind fast alle Abbildungen des „bellifortis“, aber nicht die dazugehörigen Texte benutzt worden (Kriegsbuch Ludwigs von Eyb, Erlangen, Universitätsbibliothek, B 26).

Der Autor Konrad Kyeser

Der Autor des bellifortis, Konrad Kyeser (1366 – nach 1405), stammte aus Eichstätt. Nach medizinischen und juristischen Studien in Eichstätt und Prag stand er im Hofdienst der Könige Sigismund von Ungarn (1387-1437 König von Ungarn, 1411-1437 römisch-deutscher König, Kaiser seit 1433) und Wenzel von Böhmen (1378-1419 König von Böhmen, 1376-1400 röm.-dt. König). Nach eigenen, nicht nachweisbaren Aussagen unternahm Kyeser weite Reisen durch Europa, die ihn von Süd- und Norditalien über Spanien, österreichische Territorien, Skandinavien und die Walachei bis nach Russland und Litauen geführt haben sollen. Aufgrund der Auseinandersetzungen zwischen Wenzel und Sigismund um den böhmischen Thron, in denen Kyeser sich auf der Seite Wenzels befand, musste er 1402 den Hofdienst verlassen. Kyeser bezeichnete sich anschließend als „exul“ („Verbannter“). Nach 1405 verlieren sich seine Spuren.

Konzept und Inhalt

Kyeser konzipierte den „bellifortis“ vor allem deshalb, um wieder Aufnahme bei Hofe zu finden – Könige und Adel waren seine Zielgruppe. Er schöpfte dabei aus antiken Vorbildern und eigener Anschauung. Ein prägendes Erlebnis war für ihn die selbst miterlebte Schlacht von Nikopolis (heute Bulgarien) im Jahr 1396, die Sigismunds Kreuzritterheer gegen die Osmanen verlor; im bellifortis macht er Sigismund dafür verantwortlich.

In seinem Werk geht Kyeser auf sämtliche Aspekte des Kriegswesens ein. Die beiden ältesten Stücke sind in zehn Kapitel gegliedert, die Mehrheit der Abschriften allerdings in sieben Abschnitte. Kyeser hielt sich dabei an die bereits aus der Antike bekannte Reihenfolge Feldschlacht, Belagerungskrieg, Verteidigungskrieg und Seekrieg, wobei er den Seekrieg durch wassertechnische Gerätschaften ersetzte. Folgende Abschnitte sind enthalten: Feldschlacht, Belagerung, Wassertechnik, Steigzeug, mechanischen Schusswaffen, Verteidigung, Leuchtfackeln, Pyrotechnik, Wärmetechnik, natürlichen Kampfmittel sowie verschiedene Nachträge.

Die Münchner Handschrift gehört allerdings zu einer Reihe von Exemplaren, die von der ursprünglichen Gliederung völlig abweichen und keine konsequent eingehaltene Kapitelführung aufweisen. Eine klare Strukturierung ist nicht erkennbar.

Kern des „bellifortis“ sind die hochrangigen, äußerst sorgfältig kolorierten Illustrationen; das Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek weist davon 173 auf. Dahinter treten die relativ knappen, als Hexameter gestalteten und oft auch schwer verständlichen Erläuterungen zurück.

An bekanntem Kriegsgerät sind etwa Kampfwägen (Bl. 1v, 60v), ein Hebelwurfgeschütz (sog. Blide, Bl. 2v), ein Orgelgeschütz (Bl. 74v) oder ein großer, stachelbewehrter Schild (Bl. 62v) enthalten. Andere Darstellungen sind sehr ungewöhnlich (z.B. ein Taucher mit Schnorchel, Bl. 79r, oder eine Luftmatratze als Schwimmhilfe, Bl. 83r) oder gar phantastischer Natur (z.B. ein nicht funktionsfähiger Wandelturm zur Erstürmung einer Burg, Bl. 8v).

Angereichert wird der „bellifortis“ mit vielen Elementen, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit Wehrtechnik stehen: So sind in allen Kapiteln auch zivile Nutzanwendungen enthalten, etwa Brücken (z.B. Bl. 67v), Wasserleitungen (z.B. Bl. 18v) oder ein Badehaus (Bl. 35v). Auch die früheste bekannte Zeichnung eines Keuschheitsgürtels ist enthalten (Bl. 82v). Am Schluss der Münchner Handschrift werden die Planetengötter Saturn (Bl. 83v), Jupiter (Bl. 84v), Mars (Bl. 85v), Sol (Bl. 86v), Venus (Bl. 87v), Merkur (Bl. 88v) und Luna (Bl. 89v) als Reiter dargestellt. Diese „Planetenreiter“, die in anderen Exemplaren gleich am Anfang erscheinen, stehen für den Anspruch Kyesers, dem „bellifortis“ eine Art astronomischen „Überbau“ zu geben. Abgeschlossen wird die Riege der Reiter von Alexander dem Großen, der als mittelalterlicher Herrscher dargestellt ist (Bl. 91r).

Darüber hinaus arbeitete Kyeser auch humorvolle, literarische und magische Elemente ein. Am bekanntesten ist die Darstellung einer Burg nach dem Vorbild der Burg Karlštejn (dt. Karlstein) in der Nähe von Prag, die mit einer Anleitung für magische Handlungen kombiniert ist (sog. Nabelschnurzauber, Bl. 26r).

Damit wird deutlich, dass der „bellifortis“ nicht als exakte und nüchtern präsentierte, praktische Anweisung für Kriegstechniker gedacht war, sondern vielmehr auf eine eher „populäre“ Art und Weise höfisches Publikum ansprechen sollte: „Er stellt in den Belangen des Kriegswesens mehr einen Spiegel der adlig-höfischen Kultur des Rittertums dar, weniger ein bloßes Abbild von Kriegsgerät.“ (Leng, Ars belli, Bd. 1, S. 133).

Zusätzlich zum lateinischen „bellifortis“ enthält die Münchner Handschrift noch das deutschsprachige sog. Feuerwerkbuch von 1420 (Bl. 94r-150r). Es enthält praktische Anwendungen und fachliche Anforderungen für die Arbeit von Steinbüchsenmeistern mit Schwarzpulver. Auch das Feuerwerkbuch ist in verschiedenen Abschriften überliefert. Im Unterschied zum „bellifortis“ weist die in Clm 30150 enthaltene Version keinerlei Illustrationen auf.

Rezeption

Bei Hofe wurde er zwar nicht wieder aufgenommen, seine höfisch-adelige Zielgruppe hat Kyeser aber erreicht. Deutlich wird dies aus den wenigen, aber eindeutigen Hinweisen auf Auftraggeber und Besitzer der „bellifortis“-Ausgaben. Allerdings nahm seine Verbreitung bereits nach der Mitte des 15. Jahrhunderts ab. Im 16. Jahrhundert spielte der „bellifortis“ dann schon keine Rolle mehr. In Kreisen der Kriegs- und Wehrtechniker oder der Büchsenmeister war er ohnehin nie von großer Bedeutung gewesen. Die Zukunft gehörte den nüchtern und realistischer gestalteten Kriegshandbüchern bzw. Büchsenmeisterbüchern, die einen tatsächlichen praktischen Nutzen boten. Vor dem Hintergrund der immer komplexer werdenden Kriegstechnik galt dies nun auch für höfische Kreise.

Matthias Bader

Literaturhinweise

  • Rainer Leng (Bearb.): 39.4. Feuerwerks- und Kriegsbücher, Bellifortis, in: Katalog der deutschsprachigen illustrierten Handschriften des Mittelalters, hg. von der Kommission für Deutsche Literatur des Mittelalters der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, begonnen von Hella Frühmorgen-Voss. Fortgeführt von Norbert H. Ott zusammen mit Ulrike Bodemann und Gisela Fischer-Heetfeld. 4. Band, 2. Teil, Lieferung 3-4, München 2009, 145-512. (Digitalisat bei Manuscripta Mediaevalia).
  • Regina Cermann, Der ‚Bellifortis’ des Konrad Kyeser (Codices Manuscripti & Impressi, Supplementum 8), Purkersdorf 2013.
  • Rainer Leng, Ars belli. Deutsche taktische und kriegstechnische Bilderhandschriften und Traktate im 15. und 16. Jahrhundert. 1. Band: Entstehung und Entwicklung, 2. Band: Beschreibung der Handschriften (Imagines medii aevi 12), Wiesbaden 2002, I, 109-149, II, 423-440.
  • Rainer Leng, Kyeser, Konrad: Bellifortis, in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/artikel/artikel_45072> (01.10.2014).
  • Christoph Graf zu Waldburg-Wolfegg, Der Münchener "Bellifortis" und sein Autor, in: Ulrich Montag (Hg.), Konrad Kyeser Bellifortis. Clm 30150. Präsentation einer neu erworbenen Handschrift der Bayerischen Staatsbibliothek (Patrimonia 137), München 2000, 21-60.

 

Clm 30150

 

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Hinweise zur Benutzung

Die Handschrift liegt als Blätterversion vor.

 

Angaben zum Projekt

Die Digitalisierung der Handschrift erfolgte durch das Münchener Digitalisierungszentrum der Bayerischen Staatsbibliothek.

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